III. Das Verhältnis der Philosophie der Religion zu den Zeitprinzipien des religiösen Bewußtseins
Wenn die Philosophie in unserer Zeit wegen ihrer Beschäftigung mit der Religion befeindet wird, so kann uns das nach dem allgemeinen Charakter der Zeit freilich nicht auffallen. Jeder, der es versucht, mit der Erkenntnis Gottes sich zu befassen und die Natur desselben denkend zu begreifen, muß dessen gewärtig sein, daß man entweder darauf nicht achthat oder sich gegen ihn wendet und verbindet. ...
Was Tacitus von den alten Deutschen sagte, daß sie securi adversus deos gewesen, das sind wir in Rücksicht des Erkennens wieder geworden: securi adversus deum. [Tacitus>>>]
Es macht unserem Zeitalter keinen Kummer mehr, von Gott nichts zu erkennen, vielmehr gilt es für die höchste Einsicht, daß diese Erkenntnis sogar nicht möglich sei. Was die christliche Religion für das höchste, absolute Gebot erklärt: "Ihr sollt Gott erkennen", das gilt als eine Torheit. Christus sagt: "Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist"*) , - diese hohe Forderung ist der Weisheit unserer Zeit ein leerer Klang. Sie hat aus Gott ein unendliches Gespenst gemacht, das fern von uns ist, und ebenso die menschliche Erkenntnis zu einem eiteln Gespenste der Endlichkeit oder zu einem Spiegel, in den nur Schemen, nur die Erscheinungen fallen. Wie sollen wir daher noch das Gebot achten und seinen Sinn fassen, wenn es heißt: "Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist", da wir vom Vollkommenen nichts erkennen, unser Wissen und Wollen nur durchaus an die Erscheinung angewiesen ist und die Wahrheit schlechterdings nur ein Jenseits sein und bleiben soll. Und was, müssen wir weiter fragen, was wäre denn sonst der Mühe wert zu begreifen, wenn Gott unbegreiflich ist?
Diesen Standpunkt muß man dem Inhalte nach für die letzte Stufe der Erniedrigung des Menschen achten, bei welcher er freilich um so hochmütiger zugleich ist, als er sich diese Erniedrigung als das Höchste und als seine wahre Bestimmung erwiesen zu haben glaubt. ...
... Theologen, die nichts von dem Gehalte mehr besitzen, der zerstört werden könnte. Um diese nicht nur unbegründeten, sondern noch mehr leichtfertigen und gewissenlosen Einwürfe zurückzuweisen, brauchen wir nur kurz zuzusehen, wie die Theologen vielmehr alles getan haben, um das Bestimmte der Religion aufzulösen, indem sie 1. die Dogmen in den Hintergrund geschoben oder für gleichgültig erklärt haben, oder dieselben 2. nur als fremde Bestimmungen anderer und als bloße Erscheinungen einer vergangenen Geschichte betrachten. ...
*) Matth. 5, 48 G.W.F. HEGEL Vorlesungen über die Philosophie der Religion >>>
|