“So birgt jedes der Elemente, das einer Wiederholung der alten Krisen entgegenstrebt, den Keim einer weit gewaltigeren künftigen Krise in sich. Stufe, die sie im vorigen Zyklus erreicht und wofür jetzt die technische Basis gelegt ist. In der Prosperität - der Mittelperiode - entwickelt sie sich weiter auf dieser Basis. In der Periode der Überproduktion und des Schwindels spannt sie die Produktivkräfte auf höchste an, bis hinaus über die kapitalistischen Schranken des Produktionsprozesses.
Daß es in der Periode der Krise an Zahlungsmitteln fehlt, ist selbsteinleuchtend. Die Konvertibilität der Wechsel hat sich substituiert der Metamorphose der Waren selbst, und grade zu solcher Zeit um so mehr, je mehr ein Teil der Geschäftshäuser bloß auf Kredit arbeitet. Unwissende und verkehrte Bankgesetzgebung, wie die von 1844/45, kann diese Geldkrise erschweren. Aber keine Art Bankgesetzgebung kann die Krise beseitigen.
In einem Produktionssystem, wo der ganze Zusammenhang des Reproduktionsprozesses auf dem Kredit beruht, wenn da der Kredit plötzlich aufhört und nur noch bare Zahlung gilt, muß augenscheinlich eine Krise eintreten, ein gewaltsamer Andrang nach Zahlungsmitteln. Auf den ersten Blick stellt sich daher die ganze Krise nur als Kreditkrise und Geldkrise dar. Und in der Tat handelt es sich nur um die Konvertibilität der Wechsel in Geld. Aber diese Wechsel repräsentieren der Mehrzahl nach wirkliche Käufe und Verkäufe, deren das gesellschaftliche Bedürfnis weit überschreitende
Ausdehnung schließlich der ganzen Krisis zugrunde liegt. Daneben aber stellt auch eine ungeheure Masse dieser Wechsel bloße Schwindelgeschäfte vor, die jetzt ans Tageslicht kommen und platzen; ferner mit fremdem Kapital getriebne, aber verunglückte Spekulationen; endlich Warenkapitale, die entwertet oder gar unverkäuflich sind, oder Rückflüsse, die nie mehr einkommen können. Das ganze künstliche System gewaltsamer Ausdehnung des Reproduktionsprozesses kann natürlich nicht dadurch kuriert werden, daß nun etwa eine Bank, z.B. die Bank von England, in ihrem Papier allen Schwindlern das fehlende Kapital gibt und die sämtlichen entwerteten Waren zu ihren alten Nominalwerten kauft. Übrigens erscheint hier alles verdreht, da in dieser papiernen Welt nirgendswo der reale Preis und seine realen Momente erscheinen, sondern nur Barren, Hartgeld, Noten, Wechsel, Wertpapiere. Namentlich in den Zentren, wo das ganze Geldgeschäft des Landes zusammengedrängt, wie London, erscheint diese Verkehrung; der ganze Vorgang wird unbegreiflich; weniger schon in den Zentren der Produktion.
Übrigens ist mit Bezug auf die in den Krisen zutage tretende Überreichlichkeit des industriellen Kapitals zu bemerken:
Das Warenkapital ist an sich zugleich Geldkapital, d.h. bestimmte Wertsumme, ausgedruckt im Preis der Ware. Als Gebrauchswert ist es bestimmtes Quantum bestimmter Gebrauchsgegenstände, und dies ist im Moment der Krise in Überfluß vorhanden. Aber als Geldkapital an sich, als potentielles Geldkapital, ist es beständiger Expansion und Kontraktion unterworfen. Am Vorabend der Krise und innerhalb derselben ist das Warenkapital in seiner Eigenschaft als potentielles Geldkapital kontrahiert. Es stellt für seinen Besitzer und dessen Gläubiger
(wie auch als Sicherheit für Wechsel und Anleihen) weniger Geldkapital vor, als zur Zeit, wo es eingekauft und wo die auf es begründeten Diskontlerungen und Pfandgeschäfte abgeschlossen wurden. Soll dies der Sinn der Behauptung sein, daß das Geldkapital eines Landes in Zeiten der Klemme vermindert ist, so ist dies identisch damit, daß die Preise der Waren gefallen sind. Ein solcher Zusammenbruch der Preise gleicht übrigens nur ihre frühere Aufblähung aus.
Die Einnahmen der unproduktiven Klassen und derer, die von festem Einkommen leben, bleiben zum größten Teil stationär während der Preisaufblähung, die mit der Oberproduktion und Überspekulation Hand in Hand geht. Ihre Konsumtionsfähigkeit vermindert sich daher relativ und damit ihre Fähigkeit, den Teil der Gesamtreproduktion zu ersetzen, der normalster in ihre Konsumtion eingehn müßte. Selbst wenn ihre Nachfrage nominell dieselbe bleibt, nimmt sie in Wirklichkeit ab.
Mit Bezug auf Einfuhr und Ausfuhr ist zu bemerken, daß der Reihe nach alle Länder in die Krisis verwickelt werden und daß es sich dann zeigt, daß sie alle, mit wenigen Ausnahmen, zuviel exportiert und importiert haben, also die Z a h l u n g s b i l a n z g e g e n a l l e i s t, die Sache also in der Tat nicht an der Zahlungsbilanz liegt. Z.B. England laboriert an Goldabfluß.Es hat überimportiert. Aber zugleich sind alle andren Länder mit englischen Waren überladen. Sie haben also auch überimportiert oder sind überimportiert worden. (Allerdings tritt ein Unterschied ein zwischen dem Land, das auf Kredit exportiert, und denen, die nicht oder nur wenig gegen Kredit exportieren. Die letzteren importieren dann aber auf Kredit; und dies ist nur dann nicht der Fall, wenn die Ware dorthin auf Konsignation geschickt wird.) Die Krise mag zuerst in England ausbrechen, in dem Lande, das den meisten Kredit gibt und den wenigsten nimmt, weil die Zahlungsbilanz, die Bilanz der fälligen Zahlungen, die sofort liquidiert werden muß, gegen es, obgleich die allgemeine Handelsbilanz f ü r e s ist. Dies letztere erklärt sich teils aus dem von ihm gegebnen Kredit, teils aus der Masse ans Ausland verliehner Kapitale, so daß eine Masse Rückflüsse in Waren, außer den eigentlichen Handelsretouren, ihm zuströmen. (Die Krise brach aber zuweilen auch zuerst in Amerika aus, dem Lande, das den meisten Handels- und Kapitalkredit von England nimmt.) Der Krach in England, eingeleitet und begleitet von Goldabfluß, saldiert Englands Zahlungsb,lanz, teils durch den Bankrott seiner Importeurs (worüber weiter unten), teils durch Wegtreiben eines Teils seines Warenkapitals zu wohlfellen Preisen ins Ausland, teils durch Verkauf fremder Wertpapiere, Ankauf von englischen etc. Nun kommt die Reihe an ein andres Land. Die Zahlungsbilanz war momentan für es; aber jetzt ist der in normalen Zeiten geltende Termin zwischen Zahlungsbilanz und Handelsbilanz weggefallen oder doch verkürzt durch die Krise; alle Zahlungen sollen auf einmal erledigt werden. Dieselbe Sache wiederholt sich nun hier. England hat jetzt Goldrückfluß, das andre Land Goldabfluß.
Was in dem einen Land als Übereinfuhr, erscheint in dem andren als Überausfuhr und umgekehrt. Es hat aber Übereinfuhr und Überausfuhr in allen Ländern stattgefunden (wir sprechen hier nicht von Mißernten etc., sondern von allgemeiner Krise); d.h. Überproduktion, befördert durch den Kredit und die ihn begleitende allgemeine Aufblähung der Preise.
1857 brach die Krisis in den Vereinigten Staaten aus. Es erfolgte Goldabfluß aus England nach Amerika. Aber sobald die Aufblähung in Amerika geplatzt, erfolgte Krise in England und Goldabfluß von Amerika nach England. Ebenso zwischen England und dem Kontinent.
Die Zahlungsbilanz ist in Zeiten der allgemeinen Krise gegen jede Nation, wenigstens gegen jede kommerziell entwickelte Nation, aber stets bei einer nach der andern, wie in einem Rottenfeuer, sobald die Reihe der Zahlung an sie kommt; und die einmal, z.B. in England, ausgebrochne Krise drängt die Reihe dieser Termine in eine ganz kurze Periode zusammen. Es zeigt sich dann, daß alle diese Nationen gleichzeitig überexportiert (also überproduziert) und überimportiert (also überhandelt) haben, daß in allen die Preise aufgetrieben waren und der Kredit überspannt.
Und bei allen folgt derselbe Zusammenbruch. Die Erscheinung des Goldabflusses kommt dann an alle der Reihe nach und zeigt eben durch ihre Allgemeinheit 1., daß der Goldabfluß bloßes Phänomen der Krise, nicht ihr Grund ist; 2., daß die Reihenfolge, worin er bei den verschiednen Nationen eintritt, nur anzeigt, wann die Reihe an sie gekommen, ihre Rechnung mit dem Himmel zu schließen,wann der Termin der Krise bei ihnen eingetreten und die latenten Elemente derselben bei ihnen zum Ausbruch kommen.
Es ist charakteristisch für die englischen ökonomischen Schriftsteller und die erwähnenswerte ökonomische Literatur seit 1830 löst sich hauptsächlich auf in Literatur über currency, Kredit, Krisen -, daß sie den Export von Edelmetall, trotz der Wendung der Wechselkurse, in Zeiten der Krise bloß vom Standpunkt von England aus betrachten, als ein rein nationales Phänomen, und ihre Augen resolut gegen die Tatsache verschließen, daß, wenn ihre Bank in Zeiten der Krise den Zinsfuß erhöht, alle andern europäischen Banken dasselbe tun, und daß, wenn heute bei ihnen der Notschrei wegen des Goldabflusses ertönt, er morgen in Amerika, übermorgen in Deutschland und Frankreich erschallt.
1847 "war den auf England laufenden Verpflichtungen" (zum sehr großen Teil für Korn) nachzukommen. Unglücklicherweise kam man ihnen großenteils nach durch Bankrotte." (Das reiche England verschaffte sich Luft durch Bankrott gegenüber dem Kontinent und Amerika.) Aber soweit inan sie nicht durch Bankrott erledigte, kam man ihnen nach durch Ausfuhr von Edelmetallen." ("Report of Committee on Bank Acts", 1857.)
Soweit also die Krise in England verschärft wird durch die Bankgesetzgebung, ist diese Gesetzgebung ein Mittel, um in Zeiten der Hungersnot die kornausführenden Nationen zu prellen, erst um ihr Korn und dann um das Geld für ihr Korn. Ein Verbot der Kornausfuhr in solchen Zeiten für Länder, die selbst mehr oder weniger an Teuerung laborieren, ist also ein sehr rationelles Mittel gegen diesen Plan der Bank von England, "Verpflichtungen nachzukommen" für Korneinfuhr "durch Bankrotte". Es ist dann viel besser, daß die Kornproduzenten und Spekulanten einen Teil ihres Profits zum Besten des Landes verlieren, als ihr Kapital zum Besten Englands.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das Warenkapital seine Eigenschaft,potentielles Geldkapital darzustellen, in der Krise und überhaupt in Geschäftsstockungen in großem Maß verliert. Dasselbe gilt von dem fiktiven Kapital, den zinstragenden Papieren, soweit diese selbst als Geldkapitale auf der Börse zirkulieren. Mit dem steigenden Zins fällt ihr Preis. Er fällt ferner durch den allgemeinen Kreditmangel, der ihre Eigner zwingt, sie massenweis auf dem Markt loszuschlagen, um sich Geld zu verschaffen. Er fällt endlich bei Aktien, teils infolge der Abnahme der Revenuen, worauf sie Anweisungen sind, teils infolge des Schwindelcharakters der Unternehmungen, die sie oft genug repräsentieren. Dies fiktive Geldkapital ist in Krisen enorm vermindert und damit die Macht seiner Eigner, Geld darauf im Markt aufzunehmen. Die Verminderung der GeIdnamen dieser Wertpapiere im Kurszettel hat jedoch nichts zu tun mit dem wirklichen Kapital, das sie vorstellen,dagegen sehr viel mit der Zahlungsfähigkeit seiner Eigner.”
(Marx Kapital 3, - MEW Bd.25)
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