Das Vorurteil unserer Zeit
“Mit dem Vorurteil, mit welchem das Philosophieren über den Gegenstand der Religion in unserer Zeit zu kämpfen hat, nämlich daß das Göttliche nicht begriffen werden könne, daß vielmehr sogar der Begriff und das begreifende Erkennen Gott und die göttlichen Eigenschaften in das Gebiet der Endlichkeit herabsetze und eben damit vielmehr vernichte, - mit diesem Vorurteil hatte glücklicherweise die scholastische Theologie noch nicht zu kämpfen; die Ehre und Würde der denkenden Erkenntnis war so sehr nicht herabgesetzt gewesen, im Gegenteil, wie unangetastet so noch unbefangen gelassen. Es war nur die neuere Philosophie selbst, welche ihr eigenes Element, den Begriff, so sehr mißverstand und ihn in diesen Mißkredit brachte. Sie hat die Unendlichkeit desselben nicht erkannt und die endliche Reflexion, den Verstand, damit verwechselt, - so sehr, daß nur der Verstand denken, die Vernunft aber nicht denken, sondern nur unmittelbar wissen, d. i. nur fühlen und anschauen, somit nur sinnlich soll wissen können.” >>>
G.W.F. Hegel Vorrede zu Hinrichs' Religionsphilosophie [1822]
|