“Aber innerhalb des Christentums ist die Grundlage der Philosophie, daß im Menschen das Bewußtsein der Wahrheit, des Geistes an und für sich aufgegangen ist, und dann, daß der Mensch das Bedürfnis hat, dieser Wahrheit teilhaftig zu werden. Dies ist absolute Forderung und Notwendigkeit. Es muß also möglich sein, daß der Mensch fähig sei, der Wahrheit teilhaftig zu werden; er muß ferner von dieser Möglichkeit überzeugt sein. Um aber das Wahre zu wissen, und damit alle es wissen können, so muß es an ihn kommen als ein Gegenstand, nicht für das denkende, philosophisch ausgebildete Bewußtsein, sondern für das sinnliche, noch in ungebildeter Vorstellungsweise stehende Bewußtsein. Der Inhalt der Idee also muß dem Menschen offenbar werden, das ist das erste; zweitens muß der Mensch fähig sein, daß für ihn diese Wahrheit ist. Wenn der Mensch aber für das Göttliche empfänglich ist, so muß für ihn die Identität der göttlichen und der menschlichen Natur dasein; und das ist den Menschen auf eine unmittelbare Weise in Christo bewußt geworden. Denn in ihm ist die göttliche und menschliche Natur an sich eins.
Ferner ist das Ursprüngliche, an sich Seiende nur im innersten Begriffe. Im Begriffe des Geistes ist diese Bestimmung, daß der Mensch nur ein Lebendiges ist, das zwar die Möglichkeit hat, wirklich Geist zu werden; aber der Geist ist nicht von Natur. Der Mensch ist also nicht von Natur dieses, in dem Gottes Geist lebt und wohnt; der Mensch ist nicht von Natur so, wie er sein soll. Das Tier ist von Natur, wie es sein soll, das ist aber eben sein Unglück, daß es nicht weiterkommt. Der Mensch ist also von Natur böse, er soll nicht natürlich sein; und alles, was der Mensch Böses tut, kommt aus einem natürlichen Triebe. Das Geistige ist erst durch die Negation des Unmittelbaren; denn auch Gott selbst ist nur so ein Geist, daß er das Eine, Verschlossene zum Anderen seiner selbst machte. So wird auch der Mensch erst durch Erheben über das Natürliche geistig und gelangt zur Wahrheit. Diese Wahrheit erreicht er, indem für ihn die Gewißheit als Anschauung wird, daß in Christo die Identität der göttlichen und menschlichen Natur vorhanden, in ihm der λόγος Fleisch geworden ist. Da haben wir also erstens den Menschen, der durch diesen Prozeß zur Geistigkeit kommt, und zweitens den Menschen als Christus, in welchem diese Identität beider Naturen gewußt wird. Das ist aber der Glaube an Christus; vermittels dieses Wissens von dieser Identität in Christo, vermittels des Wissens dieser ursprünglichen Einheit kommt der Mensch dann zur Wahrheit. Da nun der Mensch überhaupt dieser Prozeß ist, die Negation des Unmittelbaren zu sein und aus dieser Negation zu sich selbst, zu seiner Einheit zu kommen, so soll er also seinem natürlichen Wollen, Wissen und Sein entsagen. Dieses Aufgeben seiner Natürlichkeit wird angeschaut in Christi Leiden und Tod und in seiner Auferstehung und Erhebung zur Rechten des Vaters. Christus ist ein vollkommener Mensch gewesen, hat das Los aller Menschen, den Tod, ausgestanden; der Mensch hat gelitten, sich geopfert, sein Natürliches negiert und sich dadurch erhoben. In ihm wird dieser Prozeß, diese Konversion seines Andersseins zum Geiste, selber angeschaut, und die Notwendigkeit des Schmerzes in der Entsagung gegen die Natürlichkeit; aber dieser Schmerz, daß Gott selbst tot ist, ist die Geburtsstätte der Heiligung und des Erhebens zu Gott. So wird also, was im Subjekte vorgehen muß, so wird dieser Prozeß, diese Konversion des Endlichen als an sich vollbracht in Christo gewußt.
Daß die Offenbarung Christi diese Bedeutung habe, ist der Glaube der Christen, während die profane, unmittelbare und nächste Bedeutung dieser Geschichte ist, daß Christus ein bloßer Prophet gewesen und das Schicksal aller alten Propheten gehabt habe, verkannt zu sein. Daß sie aber die von uns angegebene Bedeutung habe, das weiß der Geist; denn der Geist ist eben in dieser Geschichte expliziert. Diese Geschichte ist der Begriff, die Idee des Geistes selbst; und die Weltgeschichte hat in ihr ihre Vollendung gefunden, auf diese unmittelbare Weise das Wahre zu wissen. Der Geist also ist es, der sie so auffaßt; und auf unmittelbar anschauliche Weise ist das im Pfingstfeste gegeben. Denn vor diesem Tage hatten die Apostel diese unendliche Bedeutung von Christo noch nicht; sie wußten noch nicht, daß dieses die unendliche Geschichte von Gott ist: geglaubt hatten sie an ihn, aber noch nicht an ihn als diese unendliche Wahrheit. Seine Freunde haben ihn gesehen, seine Lehren gehört, das alles haben sie gewußt, haben auch Wunder gesehen und sind dadurch dazu gebracht, an ihn zu glauben. Aber Christus selbst schilt die heftig, welche Wunder von ihm verlangen. "Der Geist", sagt er, "wird euch in alle Wahrheit leiten."
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